Sofortbild: 11 Gründe, die alte Polaroid wieder aus dem Schrank zu holen klingt nach einem echten Plan.
Ist diese Idee aber wirklich so reizvoll?
Wie bereits erwähnt, liegen auch in meinem Schrank Polaroid Kameras, die ich sogar ausprobiert habe.
Bei der Überlegung, sich der Sofortbildfotografie zuzuwenden, stellen sich mir aber mittlerweile mehrere Fragen:
- Was will ich mit der Fotografie erreichen?
- Was will ich zeigen?
- Wie kann ich das erreichen?
- Welche Anspruch habe ich selbst?
Schauen wir auf die Frage Nr. 1 und 2:
Unvergessen sind Hannibal Lectors Worte: „Man begehrt, was man sieht!“ Abgewandelt für mich heißt das, „Man zeigt, was man sieht!“.
Im ersten Moment klingt das sicher banal. Auf den zweiten Blick kommt aber schon heraus, dass jeder Mensch einen eigenen Blick auf das Geschehen und seine Umwelt hat. Das zeigt sich besonders eindrucksvoll auf gemeinsamen Fototouren, bei deren Sichtung der Aufnahmen die Aussage: „Das hab ich auch!“, sehr häufig fällt. Manchmal kommt aber auch: „Moment mal, wir waren doch gemeinsam unterwegs und DAS hab ich gar nicht gesehen!?“ hinzu. Da haben wir ihn, den individuellen Blick auf das Geschehen und die Umwelt.
Also, was will ich mit meiner Fotografie erreichen?
Ich möchte zeigen, was ich sehe und wie ich es sehe bzw. wie ich es gesehen habe. Natürlich hängt vieles dabei von der gegebenen Situation ab – welche Kamera habe ich dabei, welches Objektiv steckt drauf, schaffe ich es, im geeigneten Moment auf den Auslöser zu drücken. Das WIE ich es gesehen habe, entsteht im Normalfall schon während des Auslösens im Kopf. Möchte ich das Gesehene im Original zeigen, dann bleibt das Bild im Wesentlichen so, wie es auf den Chip gebannt wurde, möchte ich auf etwas Spezielles hinweisen, dann können sich Farben, Schnitt etc. deutlich vom Original unterscheiden.
Spannend wird es mit Frage Nr. 3:
Das wie wird im Normalfall damit bestimmt, was ich an Technik im Moment des Zeigenwollens zur Verfügung habe. Das kann von der Spiegelreflex bis zum Handy eigentlich alles sein. Manchmal habe ich auch nur mein Auge und – nachdem ich zeichnerisch komplett talentfrei bin – die Technik des textuellen Beschreibens. Hier vielleicht mal ein Beispiel aus meinem Tagebuch, das ich während eines Italienaufenthaltes geführt hatte.
Nach der Venedigtour war ich schon ordentlich müde und hab lange ausgeschlafen. Weiterer Plan für heute? Der Bericht von Venedig ‚muss‘ geschrieben werden und ich werde das in einem kleinen Kaffee in Crevalcore erledigen. Da ist immerhin frische Luft und ich kann nebenbei noch etwas die Leute vor Ort beobachten. Abends treffen wir uns noch mal bei Stefan und wollten sicher die Fotos sichten und vielleicht einen Film anschauen. Ein Nachtrag ist also recht sicher.
So wie geplant sitze ich also grad‘ im Kaffee, hoffe darauf, dass mir eine Bedienung einen Cappucho vorbeibringt und bin mit dem Netbook vor mir natürlich eine Attraktion für einen Buben, so Erst- oder Zweitklässler, der gerade neugierig mir auf den Bildschirm geschaut hat. Er hat natürlich nichts davon verstanden und sicherheitshalber gleich noch einmal nachgeschaut.
„Was schreibst du da?“, hat er mich gefragt, aber ich weiß nicht, was Tagebuch auf Italienisch heißt. Schade. Nach seiner erfolglosen Erkundigung sitzt er nun mit seiner Schwester (so vermute ich mal) und hört Musik vom Handy, dessen Ohrhörer sich die beiden teilen. Ein niedliches Bild.
Ein paar Minuten später machten die Beiden die Kopfhörer raus und schalteten das Handy auf Lautsprecher, so dass ich auch etwas von der Musik hab. Nicht nur der Gesang (so eine Art italienischer Rap) klingt zu mir herüber, sondern auch das Mitsingen der Zwerge! Simone, der Bub, schaut immer mal wieder vorbei. Seine Mama findet das natürlich nicht so toll, da sie sicher vermutet, dass der Kleine etwas ‚indiskret‘ ob des von mir Geschriebenen ist. Könnte ich italienisch, würde ich sie beruhigen und erklären, dass er das Deutsche sicher nicht mal lesen könnte und ich seine Neugier nur menschlich und eher belustigend finde.
Still sitzen ist nun wirklich nichts für Kinder. So stoppten sie die Musik und Simone las mal ganz spontan die an der Fensterscheibe angebrachten Schilder vor:
„LE ORDINAZIONI SI PRENDONO ALL’INTERNO GRAZIE“ oder „NOI DOBBIAMO RESTARE FUORI“.
Wenn die wüssten, dass sie gerade von mir beobachtet und beschrieben würden?! Mit etwas ’spiccioli‘ bewaffnet machen sich die Beiden grade über einen Spielzeugautomaten her, der in Ei-großen Kunststoffbehältnissen klei-
ne Spielzeugfiguren bereithält. Streit kommt natürlich auf, da die Schwester sich das erste ‚Plastikei‘ geschnappt hat. Mama muss es richten.Da der Cappucho auf sich warten lässt, schalte ich kurz auf Standby und hole ihn mir selber. Der Fernseher innen läuft obligatorisch und ich sehe gerade, dass der Große Preis von Montecarlo läuft. Formel 1 – im Normalfall hätte ich
jetzt doch meine Beschäftigung gewechselt, aber der Venedigbericht macht sich ja nicht von allein. Also, Kaffee greifen und wieder raussetzen, immer unter der strengen Beobachtung von Simone. Der wechselt seine Beschäftigungen ‚altersgerecht‘.Mal springt er auf eines der leeren Kunststoffeier oder jagt Tauben, die hier zwar nicht in großer Zahl, aber mit gewisser Zutraulichkeit unter den Arkaden Schatten suchen.
Meine Präsenz mit Laptop sorgt aber nicht nur bei den Jüngsten für Interesse. Einer der Alten versucht auf ‚diskretere‘ Art und Weise hinter das Geheimnis
meines Schreibens zu geraten. Er schaut aus etwa anderthalb Metern in den Bildschirm um dann unverrichteter Dinge weiterzulaufen.Neben dem Schreiben schaue ich immer mal wieder zu dem Tisch rüber, an dem Simone mit seiner ‚Sippe‘ sich die Zeit vertreibt. Man ist ja modern in Italien und kann neueste Handytechnik vorweisen. So testen sie gerade einen Videoanruf, bei dem der (vermutlich) Papa am anderen Ende war.
Simon ruft permanent „Papa, Papa“ und winkt ganz aufgeregt in die winzige Kamera des Kommunikationsapparillos hinein, ebenso wie die Mama.
Schade, jetzt sind sie aufgebrochen und Simone hat sich bei mir verabschiedet und mich irgendetwas gefragt. Ich konnte nur mit den Schultern zucken und sagen „no italiano“. Das traurige Gesicht, dass ich dabei gemacht hab, war sogar ernst gemeint, weil es bestimmt interessant und lustig gewesen wäre, zu erfahren, was der Kleine die ganze Zeit so vor sich hingebrabbelt hatte.
Arrivederci, Simone.
Das Bild, was sich im Geiste aufbaut, kann ich zwar nicht zeigen, aber die Stimmung könnte ein Foto nicht derartig wiedergeben. Dennoch denke ich, dass ich mit den mir gegebenen technischen Mitteln zeigen konnte, was ich zeigen wollte.
Gut, in der Situation hatte ich keine Kamera zur Hand und letztlich wäre ein Foto nicht ansatzweise so aussagekräftig gewesen.
Was aber macht jetzt den Reiz der analogen Fotografie im Vergleich zur Digitalen aus, dass man auf die alten Polaroids wieder zurückgreifen soll?
Ich denke, man möchte das Zufällige, das Nichtmanipulierte wieder in den Vordergrund stellen. Und – ich gebe zu – die analoge Fotografie hat hierbei durchaus ihren Charme. Das Zufällige der Chemie scheint in manchen Fällen das Motiv sogar zu unterstreichen. Aber ist das nicht absoluter Zufall? Ist das digitale Bild tatsächlich so viel „steriler“, als das Analoge?
Interessant gestalten kann man im Digitalen genauso. Man nehme nur mal so spannende Objektive wie die von Lensbaby her. Dann sind die weniger vorhersagbaren Ergebnisse doch ein Kinderspiel?!
Nehmen wir jedoch die gleichen, mittlerweile an Perfektion kaum noch zu überragenden modernen Objektive und schrauben sie vor analoge Kameras, ich denke, der Effekt eines (vermeintlich) sterilen Bildes wäre der Gleiche.
Die Argumentation, dass hier aber nicht nachbearbeitet würde, lasse ich nicht gelten. Die Arbeit in der Dunkelkammer ist nichts anderes, als am Computer mit Photoshop & Co. Allein die Auswahl des Film- und Papiermaterials entspricht doch schon fast einer Nachbearbeitung. Und Begriffe wie Abwedeln wurden nicht für den Computer erfunden, sondern stammen aus dem Kämmerchen mit dem Rotlicht.
Damit komme ich zur letzten Frage, der des persönlichen Anspruchs:
Die Antwort hierauf ist für mich zweigeteilt – so wie meine fotografische Arbeit ansich.
Dem Kunden die Erinnerungen so festzuhalten, dass er sich mit den Ergebnissen wohl fühlt, ist bei Auftragsarbeiten natürlich das A & O. Nicht jeder Kunde kann aber hierzu klare Angaben machen, was sich letztlich auch auf die Erwartungshaltung und die abgegebenen Bilder auswirkt. Daher zeige ich im Vorfeld, wie ich die Dinge sehe und kläre den Kunden auf, dass mein Blick die Dienstleistung ausmacht und ein „Verstellen“ meinerseits kaum möglich ist. Dass ich damit ggf. auch mal potentielle Kunden verliere, damit kann ich leben. Dieser Teil meiner fotografischen Arbeit ist Handwerk.
Richtig spannend wird es aber, wenn ich die Kamera für mich selbst hernehme und zeige, was ich sonst so sehe. Dann entstehen Aufnahmen, die ich als hoffentlich ein bisschen künstlerisch ansehe. Das sind Ergebnisse von Experimenten mit dem Motiv, der Technik und der Nachbearbeitung.
Was also würde mir die Polaroid bringen?
Eigentlich nur technische Nachteile, wie zusätzlich erforderliche Arbeitsschritte wie das Digitalisieren. Spielen kann man auch mit Lochobjektiven, Plastiklinsen à la Lensbaby oder auch Petzval-Objektiven. Der Rest ist lediglich eine Frage des Blickwinkels und der Beherrschung der Kamera in ihrer Grundphysik (ISO, Blende, Brennweite, Belichtungszeit).
Was bedeutet das jetzt für mich?
Nein, ich werde die Polaroid nur noch zum Zeigen hernehmen. Zum Entschleunigen der Fotografie habe ich meine Leica M8, zum Experimentieren verschiedene Objektive von 15 bis 200 mm sowie den Computer. Und wenn es mich dann doch noch mal packen sollte, habe ich noch die alten Kleinbildkameras, wie die Canon AE1 etc., deren Ergebnisse ich immer noch mit guter bis sehr guter Qualität digitalisieren und so weiterverwenden kann.