Motiv Mensch – Kampf mit dem Selbstbild

Ich gebe es zu, es gibt nur wenige Fotos auf denen ich abgebildet, mich wohlfühle. Und so wird es vermutlich vielen Menschen gehen.

„Kannst du da nicht was machen? Ich komme doch voll fett rüber!“, ist eine Frage, die mir nicht nur einmal gestellt wurde, wenn ich (digitale) Fotos von Mitmenschen den Protagonisten zur „Freigabe“ gezeigt hatte. Dabei ist es mein persönliches Ziel, Menschen wirklich nie schlecht aussehen zu lassen – und so „optimiere“ ich schon mal im Vorfeld mögliche „Problemzonen“. Dabei bin ich absolut nicht genderneutral – Frauen bekommen schon durchaus das „volle Programm1„, während ich bei Männern mich massiv zurückhalte2. Gelegentlich „korrigiere“ ich auch mal bei ungünstiger Bekleidung von Damen Oberarme oder auch mal ein Speckröllchen. Im Idealfall fällt es den Damen aber nicht einmal auf, dass hier kleine Retuschen durchgeführt wurden. Wiedererkannt werden von mir retuschierte Personen aber auf jeden Fall.

Nach einem Artikel im Business Insider stelle ich mir aber die Frage, ob es richtig ist, in das Bild derart einzugreifen. Ein Fotograf hatte junge Damen gebeten, Portraits von sich „social-media-kompatibel“ zu retuschieren – mit erschreckenden Ergebnissen.

Meine Beschäftigung mit der analogen Fotografie zeigt mir eindrucksvoll, wie weit wir mittlerweile vom Sehen des natürlichen Bildes entfernt sind. Digitale Bilder in der präsentierten Form sind fast immer bearbeitet und sei es durch die verwendeten Kameras selber.

Manipulation durch Technik

Da erinnere ich mich an meine erste, digitale Spiegelreflexkamera und mein Hadern mit den Ergebnissen, ca. 2007. Damals ersetzte bzw. ergänzte eine Canon EOS 350D meine Canon IXUS 850. Die Kompaktkamera zeigte satte Farben, schöne Kontraste und eine beeindruckende Schärfe – zumindest für damalige technische Verhältnisse und mein zu dem Zeitpunkt geringes, fotografisches Wissen. Die Bilder der DSLR wirkten flau und die Schärfe lediglich passabel. Ein befreundeter Mit-Amateur klärte mich damals auf, warum das so war.

Kompaktkameras haben bereits viele (Software-) Korrekturen eingebaut. Über Programme nehmen sie Bearbeitungen, die bei RAW-Bildern nachträglich durchgeführt werden, vorweg und bestimmen so unsere Erwartungshaltung gegenüber Fotografien. Gleiches geschieht natürlich auch in Smartphones, die mittlerweile mit „KI3“ ausgestattet eine stark optimierte Abbildung abliefern. Dass sie es manchmal sogar übertreiben, zeigt das #Beautigate, bei dem die Optimierung von Selfies zu Protesten bei Nutzern geführt hatten, weil sie sich letztlich nicht mehr wiedererkannten.

Smartphones haben einen großen Einfluss auf unseren Fotogeschmack, aber auch Fernsehgeräte und Monitore mit ultrafeinen Auflösungen, kontrastverstärkenden Technologien4 und „Bildoptimierungen“, wie HDR-Funktionen.

Optimierende Kameras und Bildschirme sind eine Komponenten zu unserem Bildempfinden. In den Medien werden ebenfalls optimierte Bilder verwendet. Dabei spielt es fast keine Rolle, ob es sich um Printmedien5 handelt, oder TV & co. Die Verfügbarkeit von Optimierungssoftware6 bis in den Privatsektor spielt natürlich auch eine Rolle.

Manipulation Social Media

Auf Social Media wird in der letzten Zeit immer öfter herumgehackt, was auch meines Erachtens durchaus berechtigt ist. Aber was sind Social Media – zunächst eine technische Plattform, der Inhalt kommt von den Nutzern.

Dass sich Nutzer logischerweise im „besten Licht“ zeigen wollen, ist nachvollziehbar. Und so wird schon bei der Auswahl der Fotos das Selbstbild manipuliert.

Die Abkehr der Jugend von Facebook hin zu Instagram erscheint mir als erschreckender Trend. Während bei Facebook textueller Kontent durchaus als teilungswürdige Information ausreicht, tritt die verbale Information bei Instagram immer stärker in den Hintergrund. Es wird nur noch der visuelle Reiz bedient. Ein Post setzt ein Smartphone-Foto voraus, dass auch noch zusätzlich durch Filter verändert werden kann, vielleicht sogar soll.

Wohin werden diese Trends noch führen, muss die Entwicklung doch immer weiter gehen? Wie stark muss sozialer Druck, ausgelöst von manipulierten Bildern erst werden, bis wir anfangen, uns zu wehren? Schöne, neue Welt voller gefakter Informationen, nicht nur textuell sondern auch visuell?

Fazit

Eine Lösung für dieses Dilemma kann ich nicht präsentieren, lediglich zum Nachdenken über die eigenen Gewohnheiten anregen. Vielleicht hilft es aber auch schon, die Aufmerksamkeit auf dieses Problem zu richten?!

Als Fotograf werde ich an meinem Grundsatz, viel Wert auf die Wiedererkennung der Protagonisten zu legen, festhalten und im Sinne der „Geschmackserziehung“ vielleicht auf die eine oder andere Retusche verzichten. Bei der Analogfotografie habe ich ja (aktuell) hierfür nur ganz geringe Möglichkeiten.

Dem allgemeinen Trend entgegen, nur noch auf visuelle Reize zu reagieren, gibt es für diesen Beitrag kein Beitrags- oder Symbolbild. Basta.